Kommentar der TaskForce-Initiatorin Ines Laufer
Vor wenigen Tagen überschlugen sich in der englischen Presse die Meldungen, in denen Großbritanniens erster Gerichtsprozess wegen verübter weiblicher Genitalverstümmelung angekündigt wurde:
Nach knapp 30 Jahren, in denen die Verstümmelungen explizit unter Strafe stehen, soll mit Dr. Dhanuson Dharmasena vom Whittington Hospital in London nun endlich der erste Täter dingfest gemacht worden sein: Er soll im Jahr 2012 die Verstümmelung an einer Patientin vorgenommen haben, nachdem diese ein Kind geboren hatte.
BBC News, The Guardian, The Telegraph, The Mirror, The Daily Mail u.v.a. widmeten dieser „Sensation“ seitenlange Atikel, während Efua Dorkenoo von der Organisation Equality Now von diesem Fall als einem „Wendepunkt“ schwärmte und die ACPO (Association of Chief Police Officers) eine „historische Entscheidung“ feierte.
Auch deutsche Medien berichteten über das Ereignis:
„Zwei Briten müssen vor Gericht, weil sie weibliche Genitalien verstümmelt haben…(…) Dr. Dhanouson Dharmasena vom Whittington Hospital im Norden Londons wird vorgeworfen, er habe den Eingriff im November 2012 in einem Londoner Krankenhaus vorgenommen….“
In den Presseberichten wird mit Hilfe unverständlichen Kauderwelschs und irreführendem Vokabular einhellig suggeriert, der Arzt habe die Frau nach der Geburt an den Genitalien verstümmelt (carry out FGM = Weibliche Genitalverstümmelung ausführen). Damit soll wohl die kollektive Empörung geschürt werden:
It was alleged that…a doctor at the Whittington hospital, in London, repaired FGM that had previously been performed on the patient, allegedly carrying out FGM himself.
Von der „Verübung einer Genitalverstümmelung“ kann in Wahrheit nicht die Rede sein, denn die Frau WAR bereits verstümmelt – vermutlich durch Infibulation (d.h. die Vagina wurde nach der Verstümmelung zugenäht) – und Dr. Dharmasena hat schlimmstenfalls diesen Zustand wiederhergestellt (sog. Re-Infibulation), nachdem die Vagina der Patientin für die Geburt aufgeschnitten worden war, was von der Presse irrigerweise als „repaired FGM“ bezeichnet wird!
Das musste nun auch die leitende Staatsanwältin Alison Saunders karstellen:
„It did not involve the removal of the outer genitals, as FGM is normally understood, but apparently the suturing of the vagina following delivery on a patient who had previously undergone FGM.“
Sicher ist die von Dr. Dharmasena praktizierte Wiederherstellung des schwer pathologischen Zustandes einer infibulierten (d.h. zugenähten) Frau ethisch absolut verwerflich – und sollte auf jeden Fall straf- und berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen – doch ihn in einen Topf zu werfen mit jenen Verstümmelungstätern (d.h. anstiftenden Eltern und Verstümmler/innen), die ihren Töchtern die Genitalien abschneiden /lassen, entlarvt einmal mehr die Verlogenheit, mit der die britischen Politiker und Behörden seit Jahrzehnten beim Thema „Genitalverstümmelung“ versagen.
Die Praxis der Re-Infibulation ist innerhalb der Ärzteschaft ebenso tabuisiert wie weit verbreitet – auch in Deutschland: So deckte z.B. Waris Dirie in ihrem Buch „Schmerzenskinder“ die erschreckende Selbstverständlichkeit auf, mit der deutsche Ärztinnen (z.B. Sabine Müller, ehem. Beratungsstelle Balance, Berlin) und Hebammen die Vagina verstümmelter Frauen nach der Geburt wieder zunähen. Und auch die Bundesärztekammer weigert sich seit Jahren beharrlich, diese entwürdigende Praxis mit aller Vehemenz und ohne „wenn und aber“ abzulehnen!
Die Öffentlichkeit bekommt von diesen „Eingriffen“ nichts mit, da sie i.d.R. „auf eigenen Wunsch“ der Opfer bzw. auf Wunsch ihrer Ehemänner oder Familien erfolgen (so auch im aktuellen Fall) und sich die Ärzte bisher in Sicherheit wiegen konnten nach dem Motto „Wo kein Kläger ist, da gibt es auch keine Klage“…
So verwundert es nicht, dass dieser Fall die Ärzteschaft jetzt aufschreckt – z.B. die Leiterin der gynäkologischen Abteilung des Homerton Hospitals in Hackney, Dr Katrina Erskine – die harsche Kritik übt an dem geplanten Gerichtsverfahren und gleichzeitig durchblicken lässt, dass das Wieder-Vernähen der Genitalien infibulierter Frauen auch in ihrer Abteilung gängige Praxis ist:
„You have to stop any bleeding and that inevitably involves some suturing [stitching]…The end result might look like FGM but it is not.“
Selbstverständlich sieht eine korrekte Wundversorgung NICHT aus wie der ursprüngliche verstümmelte Zustand zuvor – denn die Vagina beibt dann „offen“.
In einem Punkt hat Dr. Erskine allerdings recht:
Die Selbstbeweihräucherung, mit der die britische Polizei, Behörden und Politiker den aktuellen Bauernopfer-Fall als Meilenstein feiern, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die „echten Fälle von Genitalverstümmelung“ nach wie vor in der Ablage verschwinden und die „echten Täter“ – insbesondere die Eltern/Familien als Anstifter – weiterhin auf freiem Fuß bleiben:
Keiner der mehr als 140 Fälle von Genitalverstümmelung, die der britischen Polizei in den letzten vier Jahren gemeldet wurden, führte zu einer Anklage oder Verurteilung der Täter – angeblich aufgrund mangelnder Beweise. Doch das Motiv ist politisches Kalkül und eine zur Tradition gewordene, auf falscher Toleranz gründende Anbiederung an die Täter-Communities:
Denn immer dann, wenn es darum geht, die Eltern als Haupt-Täter und Haupt-Verursacher der Verstümmelungen zu verurteilen, werden die Akten schnell geschlossen. So heißt es auch jetzt z.B.
The CPS has decided to take no further action in four other cases of alleged FGM.
In one of those cases it was alleged that two parents had arranged for their daughter to undergo female genital mutilation while abroad.
In another, a suspect contacted an FGM helpline to request the procedure for his two daughters after misunderstanding the purpose of the service for victims.
Fehlende Beweise dürften in den seltensten Fällen der Grund dafür sein, die Täter unbehelligt zu lassen. Vielmehr ist es eine politische Entscheidung, sie nicht mit aller Härte und Konsequenz zu verfolgen, wie Jason Morgan vom Metropolitan Police department/Scotland Yard schon vor Jahren enthüllte:
„…we don’t want to alienate communities through heavy-handed tactics…“ („…wir wollen die Communities nicht vor den Kopf stoßen, indem wir hart durchgreifen“)
Angesichts der Tatsache, dass eben jene „Communities“ aus einem Kollektiv an Tätern bestehen, die vor unserer Haustür bis zu 80% der Mädchen verstümmeln, dann lautet Morgan’s Aussage: „Wir wollen die Täter nicht vor den Kopf stoßen, indem wir hart durchgreifen…“
Morgan’s Kollegin Clare Chelsom bestätigte diese Politik:
„We’re more interested in the perpetrators…than the parents“…
Wenn also die Polizei die Haupt-Täter – d.h. die Masse der Väter und Mütter, die ihre Töchter verstümmeln lassen – NICHT bestrafen will, NICHT mit harter Hand gegen sie vorgehen will, um sie nicht „vor den Kopf zu stoßen“ dann beantwortet sich die Frage von selbst, warum das britische Gesetz gegen Genitalverstümmelung seit 1985 auf geduldigem Papier ruht, während tausende Mädchen verstümmelt werden…
Vor diesem Hintergrund verdient der nun angestrebte Prozess gegen Dr. Dharmasena noch weniger das Prädikat „Durchbruch“ oder „Meilenstein“ sondern wird zum Exempel einer durchweg verfehlten Politik, die von der Öffentlichkeit immer noch schweigend hingenommen wird…
Foto: (c) Dreamstime
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