Gibt es wirklich weniger Opfer von Genitalverstümmelung?

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Es klingt zu schön, um wahr zu sein: Laut zahlreicher Presseberichte sei die Zahl der Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung geradezu drastisch zurückgegangen. Vor allem in Ostafrika, wo 1995 noch über 70% der Mädchen unter 14 Jahren verstümmelt wurden, seien es im Jahr 1996 nur noch 8% gewesen.

Grundlage für diese Aussage sind „wissenschaftliche“ Erhebungen, die allein auf Befragungen basieren.

Was ist von solchen Erfolgsmeldungen zu halten? Die Antwort ist einfach: Gar NICHTS – im Gegenteil.

Wir könnten sogar so weit gehen, von vorsätzlicher Schönung der Fakten und Fehlinformation der Öffentlichkeit zu sprechen, denn Befragungen sind schlichtweg die falsche Methodik, um die Prävalenz von Gewaltverbrechen wie Genitalverstümmelungen seriös zu eruieren.

Bereits im Jahr 2002 wurden auf einem internationalen Expertenmeeting des Population Councils die Untersuchungsergebnisse verschiedener Wissenschaftler vorgestellt, die nachgewiesen hatten, in welchem Maß die Ergebnisse von Befragungen verfälscht werden, sobald die Verstümmelungen gesellschaftlich, politisch und/oder rechtlich nicht mehr akzeptiert werden.

Die beiden Schlüssel-Ergebnisse der diversen Studien, die in der Studie des Population-Council vorgestellt wurden, sind folgende:

1. Gesetze, öffentliche Deklarationen etc. beeinflussen in so massiver Weise das Auskunftsverhalten der Menschen über FGM (Anm. so wie bei jeder anderen Straftat, die vorher legal, jetzt verboten ist, das ist ein ganz normaler Prozess) dass z.B. die Tatsache, Genitalverstümmelung unterworfen worden zu sein, plötzlich von mehr als 60% der Opfer geleugnet wird, obwohl sie tatsächlich verstümmelt wurden!

Die Einführung von Gesetzen und/oder eine gesellschaftliche Änderung der Einstellung zu Genitalverstümmelungen- von legitim zu geächtet – führt dazu, dass die Opfer ihre Verstümmelung gegenüber den Interviewern nicht mehr angeben wollen.

Je länger und intensiver Aktivitäten gegen FGM durchgeführt werden, umso mehr geben die Frauen falsche Aussagen über die Verstümmelungen an, d.h. nur die Aussage ändert sich, aber nicht der wahrheitsgemäße, verstümmelte Zustand. Manchmal geben die Befragten einfach nur diejenige Antwort, von der sie denken, dass
der Interviewer sie hören will.  Wenn Genitalverstümmelung für illegal erklärt wird, kann man nie sicher sein, eine ehrliche Antwort zu erhalten.
Auch wenn es um die Aussagen von Eltern geht, ob sie ihre Töchter verstümmelt haben/lassen wollen, geben das rund 60% weniger an, wenn sie über die Strafbarkeit informiert sind, unabhängig davon, was sie tatsächlich tun.

Konsequenz:

2. Sobald es irgendwelche Gründe gibt, dass es für die Befragten Nachteile haben könnte, die Wahrheit über die eigene Verstümmelung zu sagen (z.B. weil es Gesetze gibt, die Legitimität nicht mehr vorhanden ist), dann müssen die Selbstauskünfte in Frage gestellt werden – und Wege gefunden werden, das Ergebnis zu
bestätigen!  Um nachzuprüfen, ob die Angaben über Genitalverstümmelung wahrheitsgemäß sind – besonders dann, wenn Gesetze erlassen wurden, ist eine „klinische Untersuchung“ erforderlich!  Es ist unmöglich, die Antwort einer Person, ob sie verstümmelt wurde oder nicht als richtig zu bestätigen, ohne eine Begutachtung des Genitalbereichs durchzuführen.

Da bisher in den oben genannten Evaluierungen auf die klinische/medizinische Überprüfung der Selbstauskünfte verzichtet wurde, muss von einem nicht-verifizierten Ergebnis gesprochen werden mit einer vorhersehbar sehr hohen Fehlerquote.

Die TaskForce bat vor mehreren Jahren Prof. Dr. Reinhard Stockmann, einen führenden deutschen Evaluations-Experten um seine Einschätzung der o.g. Kritikpunkte. Er bestätigte unsere Auffassung und schrieb:

„…ich habe mit Interesse Ihre Ausführungen zur den Evaluationen einiger Hilfsorganisationen zum Erfolg von Projekten gegen Genitalverstümmelung gelesen.
Ich kann Ihnen zur zustimmen, dass bei einem so sensiblen Thema nicht anonyme Befragungen oder sogar Fokusgruppeninterviews, bei denen sich einzelne in einer Gruppe verbal bekennen müssen, ganz bestimmt nicht die richtige Evaluationsmethodik sind, um herauszufinden, ob in einem Projektgebiet die Verstümmelungsrate zurückgegangen ist oder nicht. Befunde, die sich auf solche Daten beziehen, kann man getrost vergessen. Sie haben
keinen Aussagewert…“

Fazit: 

Gerade in Ostafrika, wo in Somalia, Eritrea, Sudan, Äthiopien und bei zahlreichen Ethnien in Kenia und Tansania (z.B. Maasai, Samburu uvm) die höchsten Verstümmelungsraten weltweit zu finden sind – mit bis zu 95% – gibt es keine validen Belege für einen Rückgang der Verstümmelungen. Die jahrzehntelangen Aufklärungskampagnen verfehlen ihre Wirkung – aus gutem Grund, wie wir hier erläutern.

Die Öffentlichkeit mit falschen Erfolgsmeldungen in die Irre zu führen und zu suggerieren, die wirkungslosen Informationskampagnen führten zur Aufgabe der Verstümmelungen, erweist den Millionen Mädchen, die unvermindert jedes Jahr Opfer dieser Misshandlung werden, einen Bärendienst und behindert den überfälligen Erkenntnisprozess, dass die Strategien völlig neu ausgerichtet werden müssen, z.B. mit regelmäßigen Unversehrtheitskontrollen, ärztlichen Meldepflichten und konsequenter, harter Bestrafung vor allem der anstiftenden Täter innerhalb der Familien.

Foto: (c) Flickr / Scott Haddow

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